Der Zitadellengraben - eine "Arche Noah" in bester Mainzer City-Lage

(5/2016 bw) Eine zauberhafte, verwunschene Ecke verbirgt sich auf der Mainzer Zitadelle, in dem Graben, der im 17ten Jahrhundert zur Verteidigung der Festungsmauern angelegt wurde. In einer Art "Dornröschenschlaf", halb vergessen über die Jahrhunderte, nicht vom Menschen aktiv genutzt, hat sich in dem Zitadellengraben die Natur relativ ungestört erhalten und entwickeln können, während rings herum das moderne Mainzer Stadtzentrum entstand. Heute wirkt dieser Zitadellengraben fast wie ein kleiner Urwald und ist auf Grund seiner herausragenden ökologischen Bedeutung und Schönheit ein kostbares "Kleinod für Tiere, Pflanzen und Menschen".

 

Ein zweiflügeliges eisernes Tor gewährt den Zugang zu dem seit 1986  "geschützten Landschaftsbestandteil", eine Infotafel zeigt den Grundriss der Festung, die in ihrer besonderen Form und mit den schrägen Mauern den damals neuen Kanonen trotzen sollte.

Die Übersichtskarte zeigt - mit dünner roter Linie - die circa 8 Hektar geschützen Gebietes, im Süden der Anlage. (Wenn Sie auf das Bild klicken, kommen Sie zu einer größeren Ansicht.)

Am Beginn des heutigen Zitadellengrabens, noch ein letzter Blick zurück ...

... bevor es in das romantische Miteinander von altem Gemäuer und wertvoller Natur geht, in ein kleines Paradies, das kaum einer hier vermuten würde.

Am Rand der Mauer stehen Brennessel, von manchem Unkundigen als Unkraut bekämpft, dabei ist es hier im Graben Futterpflanze für über 150 Insekten, darunter die Raupen von 50 Schmetterlingen. Etliche der Insektenarten sind gefährdet, wie auch der Bläuling, der sich von uns aber nicht stören läßt.

Die Zitadelle ist nach dem Dom das zweitwichtigste Bau-Kulturdenkmal der Stadt Mainz. Einige der Zitadellen-Freunde sorgen sich, dass der "Wildwuchs" die Mauern zerstört. Umwelt-Experten verweisen darauf, dass z.B. Efeu - richtig behandelt - alte Mauern durchaus schützen könne, dass Bäume der Anlage Wasser entziehen, das Mauern sonst schädigen würde.

An diesem Mauerstück (Bild unten) wurde 2006-2008 ein von der DBU gefördertes Pilotprojekt "Ökologische Mauersanierung Zitadelle Mainz" durchgeführt, das zeigt, dass Ökologie und Denkmalschutz keine Gegensätze sein müssen. Damals wurde ein "Leitfaden ökologische Mauersanierung" entwickelt, der - so der NABU Mainz und Umgebung - die verbindliche Grundlage einer zwischen Naturschützern und Denkmalschützern einvernehmlichen Sanierung sein sollte.

In den Mauern wurden in den kleinen Höhlungen Brutstätten von über 170 verschiedenen Wespen- und Bienenarten gefunden, schon das gibt dem Biotop eine "bundesweite Bedeutung", sagt das Mainzer Umweltamt.

Immer mal wieder kann man die verschiedensten Insekten entdecken, wie hier eine recht seltene  Hornissen-Schwebfliege, die auf sogenannten "Vorwarnlisten" steht.

Etwa um die Zeit des Zitadellen-Baus ist das Mauer-Zimbelkraut aus den Alpen ins Flachland eingewandert und lebt seitdem gerne an Mauern. Krautige Pflanzen wie die Glockenblume oder das Mauer-Zimbelkraut sind für die Mauer völlig ungefährlich, anders als mauerschädigende Gehölze, wie z.B. kleine Ahorn-Bäume, die regelmäßig entfernt werden sollten. Die Pflanzen an der Mauer bieten den vielen Insekten Nahrung. "Für ihre Bewohner sind das Grün und die Mauern der Zitadelle unersetzliche Lebensräume, die so im weiten Umfeld nicht mehr zur Verfügung stehen. Bei einem Verlust können ganze Lebensgemeinschaften zusammenbrechen." (Umweltamt Mainz)

.. und manchmal im Jahr findet man an der Mauer, wenn man genau schaut, die bezaubernden Glockenblumen - deren Wurzeln  dem Mauerwerk auch nicht im Geringsten schaden und die Freunde vieler Insekten sind.

Mehrere hundert Bäume wirken an einigen Stellen wie ein Urwald. Der Grünbestand der Zitadelle wirkt als "grüne Lunge" für die Innenstadt. "Die Innenstadt ist baulich von den Frischluftschneisen des Umlandes abgeriegelt. Das Zitadellengrün filtert die Luft und kühlt und befeuchtet das trocken-heiße Stadtklima bis in die Siedlungsbereiche hinein. Im Sommer kann man in den erfrischenden Luftstrom aus dem Zitadellengraben spüren." (Umweltamt Mainz)

Für den alltäglichen Spaziergänger kaum zu sehen, die Fledermäuse, deren ökologische Bedeutung immer klarer gesehen wird. In den Verwinklungen, den unterirdischen Gängen und Kasematten wohnen  das "Braune Langohr" (bedroht, auf der Roten Liste) oder die "Wasserfledermaus". 

Insgesamt sind bei Untersuchungen des Zitadellengrabens 447 Tier- und Pflanzenarten festgestellt worden, von denen sich 66 auf der Roten Liste befinden, also gefährdet sind. Im Besonderen weist die Vogelwelt auf der Zitdelle eine bemerkenswerte Artenvielfalt auf, 44 Vogelarten wurden hier beobachtet wie  Mönchgrasmücke (Bild unten),  Klappergrasmücke, Singdrossel, Trauerschnäpper, Distelfink, Bluthänfling, Rotkehlchen, Buntspecht, Grünspecht etc. Grund der Vogelartenvielfalt ist der naturbelassene Gehölzbestand, das schützende und wertvolle "Gestrüpp", in dem die Vögel geschützt leben und ihre Jungen aufziehen können. Hier ist ein Rückzugsraum entstanden, wie es ihn z.B. in klassischen Parks nicht im Ansatz gibt.

Die Mauern der Zitadelle gehören darüber hinaus zu den landesweit bedeutendsten Moos- und Flechtenbiotopen. Dass das so ist, zeigt, was im Laufe der Zeit in einer normalen Stadt wie Mainz verloren gegangen ist. Über die Jahrhunderte habe sich im Gegensatz dazu im Zitadellengraben ein wohl einmaliger Genpool erhalten. Der Zitadellengraben kann wie eine Zeitreiseschatulle angesehen werden, wie ein Geschenk, ein Schatz aus alten Zeiten.

Im Schatten der Mauer hat der NABU Mainz und Umgebung Anfang 2016 zwei Wiesen angelegt, um z.B. Wildbienen mit einem naturnahen Nahrungangebot zu helfen. Von den 500 Wildbienenarten in Deutschland sind immer mehr akut gefährdet. Im Mai 2016 sind erste Keimlinge zu sehen und der Strohbelag, der das Saatgut vor Austrocknung und Vogelfraß schützen soll.

"Das Areal der Mainzer Zitadelle hat eine lange Geschichte. Zeitzeugen sind beispielsweise der Drususstein der Römer, Klosterrelikte aus dem Mittelalter, die Festungsanlagen aus dem 17. Jahrhundert ... Im Zweiten Weltkrieg wurden die unterirdischen Anlagen als Luftschutzräume von der Zivilbevölkerung genutzt. - Beim Bau der historischen Anlagen wurde nicht das Ziel verfolgt, Lebensräume für Tiere und Pflanzen zu schaffen. Erst im Laufe der Zeit entstanden hier Lebensräume, von denen es früher auch an anderer Stelle noch viele gab. Durch Nutzungsintensivierung und Bebauung werden naturnahe Lebensräume jedoch immer knapper. Deshalb kommen der Zitadelle heute neue Funktionen zu: So wie Flüchtlinge im Krieg die Luftschutzräume der Zitadelle nutzten, ist heute ihr Grünbestand Zufluchtsort bedrohter Tiere und Pflanzen." (Umweltamt Mainz)

Nachtrag 6/2017:

Gelegentlich wird vom einem "Kampf zwischen Denkmalschutz und Naturschutz" in Bezug auf die Mainzer Zitadelle gesprochen, deren Mauerwerk über die Jahrhunderte in der gesamten Anlage deutlich an Stabilität verloren hat. "Dies ist ganz ohne Zweifel in erster Linie dem Alter des Bauwerks zuzuschreiben".Unstrittig ist allerdings auch, dass in das vorgeschädigte Mauerwerk Wurzeln von Bäumen eingedrungen sind, die den Schaden vergrößert haben. Im Februar 2017 verkünden die Mainzer Umwelt- und die Mainzer Baudezernentin gemeinsam mit NABU und IZM eine Einigung, wie Denkmalschutz und Naturschutz zusammen gebracht werden sollen: Von den 2550 Bäumen in der Anlage sollen 128 Bäume gefällt werden, die die Mauern gefährden. Zum Ausgleich dafür sind Neuanpflanzungen auf einem Sportplatz geplant, der zu dem Zeitpunkt noch auf dem Gelände des Zitadellengrabens existiert. Wichtigste Maßnahme ist die Verlegung von Wegen, mit dem Ziel, einen von Spaziergängern ungestörten Rückzugsraum für Tiere und Pflanzen zu schaffen. Mindestabstände von Bäumen zu Mauern werden eingehalten.

 

 

Stadt Mainz: Das Grün der Zitadelle Mainz - Ein Kleinod für Tiere, Pflanzen und Menschen

NABU Mainz und Umgebung: In der Stadt Mainz - Zitadelle

 

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