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Mittwoch, 22. August 2018

Mit den Augen eines Biologen - spannender Besuch der Ausgleichsfläche

Es ist ein besonderes Treffen auf der Ausgleichsfläche "Am Wingertsweg", die im letzten Jahr viel erlebt hat. Der Diplom-Biologen Ralf Thiele hat angeboten, als kundiger Scout durch das Gelände zu führen.

 

Ralf Thiele ist Spezialist für Insekten in Rheinland-Pfalz, seine Diplomarbeit vor vielen Jahren hatte die "Heuschrecken im Mittelrheintal" zum Thema. Also: Wenn sich einer auskennt mit dem Zirpen und Schnarren der Grashüpfer und Grillen, dann er, der sie z.T. an ihrem Klang erkennen kann.

"Dieses Jahr war ein ungewöhnlich gutes Jahr für Insekten," erklärt er den Mitgliedern der LOKALEN AGENDA und ihren Gästen. Mitte August seien zwar nicht mehr so viele Schmetterlinge unterwegs, aber die Grashüpfer und Grillen, die sind noch da.

Und dann geht es los ...

Mit geschultem Blick und gezücktem Käscher beginnt die Jagd. Da hat sich doch was bewegt ...

Eine schnelle Bewegung mit dem Käscher und dann der Umzug der "Beute" in ein Glasröhrchen. Der erste Bewohner der Fläche, der von den "Expeditions-Teilnehmern" bewundert wird, ist dann überraschenderweise doch ein Schmetterling ...

Es gehört Erfahrung dazu, Insekten mit dem Käscher zu erwischen und sie dann unbeschadet in Betrachtunggefäße zu bringen. Thiele ist seit Jugendtagen dabei. Ein Biologe und Naturschützer aus Überzeugung.

Es ist ein Hauhechel-Bläuling, erkennt Thiele, er gehört zu den besonders geschützten Arten, wie die meisten Bläulinge, auch wenn der Hauhechel-Bläuling dier Art ist, die bundesweit noch am häufigsten vorkommt.  Sein Vorteil gegenüber anderen Bläulingsarten ist, dass er in vielen verschiedenen Lebensräumen zurecht kommt. Andere haben es da noch schwerer als er.

So dicht kommt man selten an die Schmetterlinge der Ausgleichsfläche. Inzwischen ist sogar noch ein Schwalbenschwanz-Schmetterling vorbei gekommen, hat die Gruppe im Flug begrüßt, es aber abgelehnt, sich fangen zu lassen.

Aber Thiele gibt nicht auf und ist hinter einem für Rheinhessen typischen Grashüpfer her.

Er erwischt ein Männchen der "Gemeinen Sichelschrecke" (Phaneroptera falcata). Nicht zu übersehen, es ist eine "Langfühlerschrecke", die langen Fühler verraten sie. Es gibt auch andere mit bescheideneren Antennen, die heißen dann "Kurzfühlerschrecken", Grashüpfer und Ödlandschrecken gehören dazu.

Ein gut aussehender Kerl, der nichts gegen einen heißen Sommer hat, die "Gemeine Sichelschrecke" ist eine wärmeliebende Art, die gerne Wiesen und Brachen besiedelt. In den letzten Jahren ist ihre Verwandtschaft aus dem Mittelmeerraum nach Rheinland-Pfalz eingewandert: Die Vierpunktige Sichelschrecke, die sich inzwischen in rheinhessischen Gärten und in Ortsrandbereiche wohlfühlt, seit Sommers mediterran zugeht.

Lange muß das Männchen nicht alleine bleiben, ein Weibchen ist dazu gekommen, das an der typischen Legeröhre zu erkennen ist. "Manchmal fangen die auch an zu balzen, während der kurzen gemeinsamen Gefangenschaft," erzählt  der Biologe, aber während der Zeit im Betrachtungsglas passiert zwischen den beiden ... nichts!

Natürlich werden die Kurzzeit-Häftlinge bald wieder in die Natur entlassen "damit sie nicht so gestresst werden", sagt Thiele. Für die Besucher ist der Blick ins Glas mindestens so gut wie Fernsehen.

Eine Sache interessiert die Gruppe besonders, was aus den Zauneidechsen geworden ist, die vom neuen Baugebiet "An der Bordwiese" auf die Ausgleichsfläche umgezogen sind. Immerhin war der Biologe Ralf Thiele der Spezialist, der die Tiere in stundenlangen Begehungen des neuen Baugebietes gefangen und hierher gebracht hat.

 

Ein Stopp am "Eidechsenzaun", einer Plastikplane als Barriere, die verhindert, dass die umgesiedelten Zauneidechsen wieder zurück ins Baugebiet wandern, denn eigentlich sind sie "standorttreu".

Bei der Hitze sind die Echsen flink und bleiben auch gerne  im sicheren Schatten, sie sind schwer zu sehen. Am "Echsenzaun" hat sich etwas bewegt, "ein Jungtier," sagt Thiele. Und weg ist es.

Teilnehmer der Exkursion sehen große und kleine Echsen, allerdings nur für kurze Momente. "Das ist typisch, der Spruch: Ach da ist eine Echse, und dann: jetzt ist sie weg," sagt Thiele und sucht unverdrossen weiter.

 

Auch der Fotograf sieht kleine Echsen über den Sand in den Sichtschutz der Äste huschen, für die Kamera zu schnell ... bis sich eine kleine, junge Echse erbarmt und sich für einige Sekunden in Szene setzt.

Es ist ein Jungtier, das bereits nach der Umsiedlung seiner Eltern hier auf der Fläche geboren wurde, erkennt der Biologe. Ein gutes Zeichen, das belegt, dass die Tiere ihre neue Umgebung angenommen haben.

 

Und an dieser Stelle eine Bitte an alle Passanten: Gehen Sie nicht auf die Fläche, um selbst nachzuschauen. Die Echsen sind extrem schwer zu entdecken und die Fläche ist nur für die Tiere und die Pflanzen da, nicht für uns Menschen. Auch freilaufende Hunde gehören hier nicht hin. Danke ;)

Blitzschnell ist die junge Echsendame dann auch wieder verschwunden.

Die Gruppe ist weiter unterwegs. Biologe Thiele horcht ins Gelände und hört die "Zweifarbige Beißschrecke", den "Gemeinen Grashüpfer" und auch den "Nachtigall-Grashüpfer", der es besonders melodisch kann. Es fliegen Kohlweißlinge und auch das Taubenschwänzchen, eine tagaktive Nachtfalterart die durch den schwirrenden Flug an Kolibris erinnert.

Da ist gleich ein Pärchen ins Netz gegangen, es sind  zwei Wiesengrashüpfer, die langgrasige Wiesen bevorzugt. Der inzwischen kundige Blick erkennt: Es sind "Kurzfühlerschrecken".

Die beiden scheinen Gefallen aneinander zu finden. Anders als das erste Pärchen bleiben sie zusammen nach der Freilassung auf dem Rand des Gefäßes sitzen. Ist das der Beginn einer Romanze? Gemeinsam verschwinden sie im Gras ...

Der nächste Röhrengast ist das wärmeliebende "Weinhähnchen". Dieses unscheinbare Tier gehört zu den Grillen und es macht besonders nachts auf sich aufmerksam, mit seinem Gesang, den man aus dem Sommerurlaub am Mittelmeer kennen kann; aber auch bei uns ist er jetzt regelmäßig zu hören.

Zwischendrin läßt sich ein Schmetterling fangen, das "Große Ochsenauge", einer unserer häufigsten Wiesenschmetterlinge, er darf nicht fehlen.

Auch erst vor wenigen Jahren zugewandert, die etwas urtümlich anmutende Büffelzikade, die mit ihrem Saugrüssel an Pflanzen saugt. Auch diese Art ist erst vor wenigen Jahren zugewandert und singt seitdem kräftig im Chor der Wiesenwesen mit.

Ein Zwischenfazit drängt sich auf: Der globale  Umbruch der Welt geht auch an unserer Ausgleichsfläche nicht spurlos vorbei ...

Und noch einmal ein Wiesengrashüpfer, dieselbe Art wie die beiden "Turteltauben" etwas früher. Was auffällt, der hier ist grasgrün, die beiden oben waren ziemlich braun. "Es ist typisch für Grashüpfer, dass sie unterschiedliche Färbungen aufweisen können. Am leichtesten fällt die Unterscheidung der Arten nach ihrem Gesang," sagt der Experte und lächelt milde. Da werden wir noch etwas üben müssen...

 Und am Ende noch die Einschätzung des Biologen zur Ausgleichsfläche? Sie sei sehr "schön" und "gut entwickelt", so etwas gäbe es "selten" in Rheinhessen. Er schätzt, dass hier 30 Falterarten, 20 Heuschreckenarten und vieles andere lebt. Über das Jahr, bei seinen Besuchen, hat er seltene Arten gesehen, wie das Esparsetten-Widderchen, das auf der "Roten Liste" steht.

Obwohl es spät im Jahr ist und der Höhepunkt des Insektenlebens schon vorbei ist, spürt man, dass die Fläche "Am Wingertsweg" ein  HotSpot der Artenvielfalt in der Region ist, dass mehr dieser Flächen bei dem anhaltendem Bauboom und der damit einhergehenden Bodenversiegelung nötig sind.

Für den intensiven Blick in die Natur bedanken sich die Teilnehmer bei Ralf Thiele - vielleicht gibt es ja nochmal die Möglichkeit im nächsten Jahr, vielleicht sind Sie dann auch dabei.

Wenn Sie mehr wissen wollen:  Zur Ausgleichsfläche "Am Wingertsweg" in Klein-Winternheim gibt es hier alle Infos. Wenn Sie wissen wollen, was in dem Jahr 2018 auf der Fläche passiert ist, schauen Sie hier. Kürzlich wurden Zauneidechsen auf die Fläche umgesiedelt, die gezielten Infos dazu gibt es hier.

 

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