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Nieder-Olm – Geschichte, Gebäude und ein kulturelles Zentrum

Der Historiker und überzeugte Nieder-Olmer Dr. Elmar Rettinger erinnert an die geschichtliche Bedeutung Nieder-Olms und fragt sich unter dem Titel: "Geschichte und Gebäude – das Beispiel Nieder-Olm", was davon heute noch im Stadtbild sichtbar ist. An exemplarischen Bauwerken ordnet er das heute noch Erhaltene ein und kommt zu einem eindeutigen Fazit .

Aber bei der Bestandsaufnahme bleibt er nicht stehen. Im Anschluss an den ersten Text macht er unter dem Titel: "Nieder-Olm braucht ein kulturelles Zentrum – ein Plädoyer für ein Nieder-Olmer Stadtmuseum" konkrete Vorschläge, was sein Ort für die eigene und sogar für die Geschichte von Rheinhessen ganz unmittelbar tun kann.


Geschichte und Gebäude – das Beispiel Nieder-Olm

Von Dr. Elmar Rettinger

2022 feiert Nieder-Olm sein 50-jähriges Jubiläum als Verbandsgemeinde. Dabei hat die Zentralfunktion Nieder-Olms eine jahrhundertelange Tradition: Amtsort in erzbischöflicher Zeit bis zum Ende des Alten Reiches, Marie in der kurzen Zugehörigkeit zu Frankreich 1797-1814, Bürgermeisterei in hessischer Zeit ab 1816, bis hin zum Sitz einer Verbandsgemeinde ab 1972. Man sollte meinen, dass sich die wichtige Funktion des Ortes in den Gebäuden der heutigen Stadt widerspiegelt. Dies ist allerdings nur ansatzweise der Fall und das hat seine Gründe.

Nieder-Olm liegt im unmittelbaren Einzugsbereich der ehemaligen Festung Mainz, deren Stadtmauern im Laufe der Jahrhunderte immer weiter ausgebaut wurden. Auch Nieder-Olm verfügte über eine festgemauerte Ortsbefestigung. Seit der Zeit des Erzbischofs Willigis im 10./11. Jahrhundert hatte der Mainzer Erzbischof/Kurfürst immer den Anspruch, in der Reichspolitik ein entscheidendes Wort mitzureden. Im Gegensatz dazu stand die vergleichsweise geringe militärische Macht des Kurstaates, dessen Militär im 18. Jahrhundert eher zu Paradezwecken, denn zur Verteidigung taugte.

Befestigungsanlagen vermittelten in Friedenszeiten das Gefühl von Sicherheit, erwiesen sich aber in Kriegszeiten in der Regel als kontraproduktiv, da sie die Soldateska anzogen. So kommt es, dass Mainzer und sein Umland und damit Nieder-Olm regelmäßig in militärische Konflikte hineingezogen wurden.

Viele Gebäude des Ortes haben die Jahrhunderte nicht überdauert. Von der romanischen Bebauung des 12. Jahrhunderts ist nur der Turm der Kirche übriggeblieben. Der größte Verlust ist die Laurenziburg, der Amtssitz des erzbischöflich-mainzischen Amtmanns aus dem 13. Jahrhundert. Sie wurde allerdings nicht durch Kriegsereignisse zerstört, sondern ein Opfer menschlicher Planung. Im pfälzischen Erbfolgekrieg als eine von wenigen Burgen verschont, fiel sie nach und nach im 19. und 20. Jahrhundert den Straßenbaumaßnahmen der Franzosen Anfang des 19. Jahrhunderts und den Schulplanungen der Stadt nach 1945 zum Opfer.

In der ganzen Stadt gibt es kaum bauliche Reste aus der Zeit vor dem Pfälzischen Erbfolgekrieg Ende des 17. Jahrhunderts. Auch an das Leben im Dorf im 18. Jahrhundert erinnern nur ganz wenige Häuser. Eines der ältesten erhaltenen Gebäude ist die Schmiede Wettig. Das Ortsbild Nieder-Olms dürfte sowohl von stattlichen Hofanlagen, als auch von kleinen Tagelöhnerhäuschen geprägt gewesen sein.

An wichtige Einrichtungen erinnern heute nur noch Straßennahmen, z.B. Wallstraße oder Backhausstraße. Aus dem 19. Jahrhundert sind einige repräsentative Häuser erhalten. Das Alte Rathaus, 1837 als Gebäude für das Friedensgericht gebaut, vermittelt mit seiner klassizistischen Fassade die Würde des Amtes. Ähnliches gilt für das ehemalige Wohnhaus des Friedensrichters in der Pariser Straße.

Wohl hat der Zweite Weltkrieg tiefe Wunden gerissen, doch vieles ist auch nach 1945 dem – aus unserer heutigen Sicht fatalen - Modernisierungsstreben der 50er und 60er Jahre zum Opfer gefallen. Neben der Laurenziburg ist es vor allem der klassizistische Gerichtsbau an der Kreuzung Nieder-Olmer Straße - Oppenheimer Straße - Bahnhofstraße, der noch Ende der 1960er Jahre abgerissen wurde.

Fazit: Die heute noch sichtbare historische Bebauung der Stadt spiegelt nur unvollkommen die historische Bedeutung Nieder-Olms wider. Der Zahn der Zeit, Kriege und menschliche Planung haben den Bestand drastisch dezimiert. Umso wichtiger ist es, an die Geschichte des Ortes zu erinnern und den noch vorhandenen Baubestand zu bewahren und zu pflegen.


Nieder-Olm braucht ein kulturelles Zentrum – ein Plädoyer für ein Nieder-Olmer Stadtmuseum

Von Dr. Elmar Rettinger

„Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden“. Dieser Satz des Philosophen Sören Kierkegaard steht auf dem Titelblatt der Bürgerinformation der Stadt Nieder-Olm zum Jahreswechsel 2021/22. Ein schöner Satz, der in konkretes Handeln umgesetzt werden sollte.

Nieder-Olm ist eine verkehrsgünstig gelegene, aufstrebende Stadt von großer Attraktivität. Die Einwohnerzahl der Stadt hat sich seit den 70er Jahren nahezu verdoppelt. Nieder-Olm verfügt über ein Schulzentrum enormer Größe. Im Schuljahr 2021/22 wurden in verschiedenen Schulen an die 3000 Schüler*innen unterrichtet. Die Identifikation der Neubürger mit ihrem Wohnort sollte ein wichtiges Anliegen sein. Ebenso sollten Schüler*innen die Möglichkeit geboten werden, sich über die Geschichte der Stadt informieren zu können - Stichwort „außerschulische Lernorte“. Zwei Anregungen seien mir gestattet:

Die Schmiede Wettig sollte aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden!

Einer der größten Schätze der Stadt ist die Schmiede Wettig, benannt nach dem letzten Schmied, der 1980 im Alter von 92 Jahren verstarb. Die Schmiede zählt zu den letzten voll funktionsfähigen Werkstätten traditioneller Art in Rheinhessen. Das Nieder-Olmer Heimatmuseum, das 1986 im Obergeschoss der Schmiede Wettig eröffnet worden war, ist eine verdienstvolle Initiative von Peter Weisrock. Das Heimatmuseum liegt seit langen Jahren im Dornröschenschlaf. 2014 hat sich der 1989 gegründete Verein „Heimatmuseum Schmiede Wettig e.V." wegen mangelnden Nachwuchses aufgelöst.

Heute ist im Haus eine Goldschmiede untergebracht, die zum Anwesen gehörige Scheune wurde als Ausstellungsraum ausgebaut. Auf der Homepage der Stadt wird das Ensemble als Location für Hochzeiten angepriesen. Gegen eine „Eheschmiede“ ist nichts einzuwenden, doch sollte das Ensemble wieder in seiner ursprünglichen Funktion einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden.

Dies wäre eine schöne Aufgabe für die Interessengemeinschaft Nieder-Olmer Geschichte und die neue Archivarin der Stadt.

Ein Stadtmuseum Nieder-Olm wäre die konsequente Erweiterung – oder sogar ein Rheinhessen-Museum

Nach der Wiederbelebung der Schmiede Wettig wäre ein wichtiger Zweig des Dorfhandwerks dokumentiert. Allerdings gäbe es immer noch keinen Ort, an dem die Geschichte der Stadt für Nieder-Olmer*innen, Neubürger*innen und Schüler*innen anschaulich präsentiert wird. Als erstes Projekt auf dem Weg zu einem Stadtmuseum könnte man sich eine digitale 3D-Rekonstruktion der Laurenziburg vorstellen. Was in Nieder-Olm auch fehlt, ist eine „Hall of Fame“ für die Holzamers, Mettens, Klos und wie sie alle heißen.

Ein Museum und die notwendigerweise dazugehörenden Räumlichkeiten für temporäre Ausstellungen benötigt ein Haus. Mitten im Stadtzentrum an verkehrsgünstiger Stelle steht ein Gebäude leer, das früher als Gast- und Wohnhaus gedient hat und wohl im Zug des Baus der Pariser Straße Anfang des 19. Jahrhunderts auf den Grundmauern älterer Gebäude errichtet wurde. Es handelt sich um einen symbolischen Ort und um ein für Nieder-Olm typisches Gebäude. Gaststätten prägten das Bild Nieder-Olms in der Vergangenheit und an dieser Stelle stand das alte, schon 1462 erwähnte Rathaus. Die heutigen Gebäude stammen vom Anfang des 19. Jahrhunderts.

Die Stadt sollte das Haus – gegebenenfalls zusammen mit der Verbandsgemeinde – erwerben, es zu einem kulturellen Zentrum ausbauen und damit ein Stück Nieder-Olm im Herzen der Stadt vor dem eventuellen Abriss bewahren.

Vor sechs Jahren anlässlich des 200-jährigen Rheinhessen-Jubiläums wurde immer darüber gesprochen, dass man den „Jubiläumsschub“ in die nächsten Jahre hinübertransportieren müsse. In Rheinhessen fehlt ein Museum, an dem man sich über die Geschichte der Region informieren kann. Nieder-Olm „im Herzen von Rheinhessen“ bietet sich als Standort an. Darüber könnte man auch einmal nachdenken.

Vielleicht hilft es, sich an die Anfänge der Verbandsgemeinde zu erinnern.

2022 feiert die Verbandsgemeinde ihr 50-jähriges Bestehen. Das ist eine gute Gelegenheit, sich an den immer noch aktiven ersten Verbandsgemeindebürgermeister Dr. Hans-Valentin Kirschner zu erinnern. Ohne ihn und ohne Peter Weisrock stünde heute an der Stelle der Schmiede Wettig ein mehrstöckiger Wohnblock. 1982 hat die Gemeinde die alte Schmiede von einer Erbengemeinschaft erworben.

Zugegeben, die Preise für Grundstücke und Immobilien in Nieder-Olm sind seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in irrwitzige Höhen gestiegen. Das sollte aber kein Hindernis sein, sich über den Erwerb historischer Gebäude Gedanken zu machen; denn die Häuser werden nicht billiger, und die Nieder-Olmer*innen werden das möglicherweise mehr goutieren als manch modernes, überdimensioniertes Wohnprojekt in der Stadt.



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