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"Was wollen wir an unsere Kinder weiter geben ?!"

Das Weingut ist seit Generationen in Familienbesitz. Es liegt in der Hauptstraße von Klein-Winternheim, in der heute noch die meisten alten Häuser des Dorfs zu finden sind. Aus Überzeugung und mit Begeisterung hat das Winzerehepaar Inge und Volker Eckert dieses, ihr Weingut, über die letzten Jahrzehnte betrieben. In der Zeit haben sie das um 1823 erbaute Wohnhaus den modernen Lebensbedingungen angepasst. Dabei haben sie immer versucht, den alten Stil zu erhalten, ja, sie haben sogar einige „historische Bauzustände“ wieder hergestellt, die bei früheren Umbauten ihrer Vorfahren verloren gegangen waren. Vor einigen Jahren haben sie das Gut ihren Neffen und deren Familien übergeben und sich in den Ruhestand verabschiedet. Sie sind ausgezogen, aber nicht sehr weit weg, einmal über die Straße.

Für den Erhalt des historischen Dorfbildes haben sie sich immer eingesetzt, schon vor Jahrzehnten hat sich Volker Eckert, damals Ratsmitglied, für eine Dorferhaltungssatzung und deren Durchsetzung stark gemacht. Bei seinen im Dorf berühmten Karnevalsauftritten hat er den Abriss eines der ältesten Klein-Winternheimer Häuser durch die Gemeinde vor Jahr und Tag kritisiert.


Aus Liebe zum „alten Dorf“

Von Inge und Volker Eckert

Das Weingut: Schon seit über 300 Jahren leben unsere Vorfahren in Klein-Winternheim und betreiben ein Weingut. Etwa 1866 zogen sie in die heutige Hof- und Wohnanlage in der Haupstr. 32. Das wunderbare Wohnhaus dort war bereits um 1823 im klassizistischen Stil erbaut worden und hat seitdem einiges erlebt.

Ich, Volker, bin hier in Klein-Winternheim geboren, in der Haupstr.32, im ersten Stock unseres Weinguts. Vier Stunden später erhielt ich ganz zufällig ein Willkommensständchen durch eine Kapelle der damaligen Klein-Winternheimer Kirchenmusik, dem heutigen Musikverein. Die Musiker waren im Zuge ihrer traditionellen Mai-Musik in den Straßen des Dorfes unterwegs.

Ich, Inge, bin 1983 in dieses Weingut, mit Wohnhaus, Baujahr 1823, gezogen, kommend aus der Mainzer Innenstadt und vielen vorherigen Wohnstationen. Hier war ab jetzt meine neue Heimat und von hier will ich nicht mehr weg.


Das Leben im alten Weingut

Ich, Volker, bin im alten Weingut aufgewachsen und kann mich noch gut erinnern, wie es früher war: Die Küche war damals der zentrale Aufenthaltsraum, mit einem Kochherd, der gleichzeitig an kalten Tagen als Ofen diente. Wir hatten eine Badewanne, die Warmwasserbereitung funktionierte mit Brennholz.  Die Toilette war auf dem Hof, die Schlafzimmer hatten keine Heizmöglichkeit. Das sind jedoch bestimmt nicht die Dinge, denen ich nachtrauere.

Vier Generationen haben an dem Haus immer wieder etwas verändert, der Wohnkomfort wurde erheblich gesteigert. Im Nachhinein zeigte sich aber, dass einige der Umgestaltungen unserer Vorfahren allerdings nur dem sogenannten „Fortschritt“ geschuldet waren, einem „Zeitgeist“, der dem ursprünglichen architektonischen Stil des Hauses und der Harmonie des Bauwerks nicht gut getan hatte.

Deshalb machten wir uns in den 80er Jahren an einen gründlicher Rückbau, ohne auf den gewonnenen Komfort zu verzichten, sondern konnten diesen sogar noch steigern. Wir suchten uns motivierende Vorbilder gelungener moderner Renovierungen und Restaurierungen, weil wir das Leben in der traditionellen Wohnlandschaft unseres Hauses und unseres Dorfes einfach liebten.

Uns war klar: Wenn es für uns als Winzerehepaar Richtung Altenteil gehen würde, würden wir das Weingut, die vertraute Wohnung, unseren Nachfolgern übergeben müssen. Deshalb haben wir uns schon sehr früh, im Alter von 50 Jahren, nach Möglichkeiten umgeschaut, wie und wo wir später innerhalb der geliebten Umgebung des alten Ortes bleiben könnten und die alte Wohnung nicht vermissen würden.
 


Der Umzug und das "neue" Haus

Bereits 2003 kauften wir einen dem Weingut gegenüberliegenden, sehr kleinen Bauernhof auf 400 qm Grundstück, um dort später unsere Rentenzeit zu genießen.

Wir wollten den alten kleinen Bauernhof renovieren, nach dem Vorbild unseres eigenen Weinguts und nach dem Vorbild unserer Nachbarn, der Familie Hackl, die bereits ein historisches Gebäude mit alter Schmiede vorbildlich renoviert hatte. Aber unsere Bausubstanz war leider nach dem Urteil der Fachleute nicht mehr renovierungsfähig, so dass wir zu unserem Bedauern abreißen und neu bauen, bzw. „aufbauen“ mussten. Das wollten wir aber auf jeden Fall im Stil der historischen Gebäude, im Stil unseres gegenüberliegenden alten Weinguts tun.

Ja, wir haben „aufgebaut“, das bedeutet, wir haben die alten Baustoffe aus dem Abbruch gesammelt und das Material weitgehend in den Neubau integriert, unter Beachtung der alten Baustrukturen. Wir haben dabei auch die alten Renovierungssünden, die in 1960er Jahren an der Fassade des alten Gebäudes begangen wurden, bei unserem Wiederaufbau wieder rückgängig gemacht (hier: die Zusammenlegung von zwei Fenstern zu einem großen "Blumenfenster, oft mit Blaulicht").

"Das habt ihr toll renoviert" war für uns nach der Fertigstellung wiederholt ein wohltuendes und vielsagendes Lob. Uns hat es gefreut, dass wir trotz der schwierigen Bedingungen einen Beitrag zum Erhalt der Dorfcharakteristik leisten konnten – und es ist einfach eine Freude, in so einem schönen Haus zu leben.
 



Nackte Giebelseiten

Als wir noch Kinder waren, hatte die Hauptstraße eine einheitliche, harmonische Häuserfront. Als wir 2007 umgezogen sind, waren bereits drei Lücken in die für den lokalen Baustil charakteristische durchgehende Häuserfront der Hauptstraße gerissen worden, mit dem Effekt, dass nackte Giebelseiten freigestellt wurden, die nie für eine freistehende Ansicht gebaut worden waren.


Die aktuelle Abriss-Dynamik

Seit kurzer Zeit ist im Ort leider eine neue Abriss-Dynamik entstanden, die den Charme des alten Dorfkerns weiter zu zerstören droht. Dabei hatte die Gemeinde Klein-Winternheim bereits 1993 ihre erste Dorfgestaltungssatzung nach dem Vorbild der sehr guten Jugenheimer Satzung beschlossen. Diese Satzung wurde in der Folge immer wieder überarbeitet: 2002, 2009 und 2021 – doch wir müssen feststellen: Konsequent vollzogen seitens der Verwaltung wurde sie bisher nicht! Die Gemeinde selbst ging sogar mit sehr schlechtem Beispiel voran, als sie 1997 im Zuge des Rathaus-Neubaus eines der ältesten Häuser des Ortes abriss: das alte Lehrer- und spätere Jugendhaus – entgegen der Empfehlung der Kreisverwaltung, Abteilung Denkmalschutz.


Was wollen wir an unsere Kinder weiter geben?

"Was wollen wir an unsere Kinder weitergeben?" - neben der Erziehung doch auch ein Stück greifbare Geschichte. Wir suchen und graben nach Utensilien von Römern und Kelten und vergraben alte Baukultur unseres Ortes auf Bauschuttplätzen. Wir besichtigen und fotografieren begeistert alte Ortskerne während der Urlaube und zu Hause in Klein-Winternheim wird das historische Ortsbild zerstört.

Eine Dorfgestaltungssatzung kann solche Zerstörungen verhindern. Sie hat dabei nicht die Absicht, die Häuser des alten Ortskerns unter Denkmalschutz zu stellen. In der Präambel wird das Ziel der Erhaltung des historischen, rheinhessischen Ortsbildes umrissen: "Der historisch gewachsene Ortskern prägt das charakteristische Gesicht eines Dorfes, daher trägt die Gemeinde für ihren alten Ortskern eine besondere Verantwortung. In Klein-Winternheim wird der Ortskern geprägt von Hofanlagen und älteren Gebäuden, die sich im Siedlungsgrundriss, im Straßenbild und in der Dachlandschaft prägnant von den umgebenden neueren Baugebieten abheben".

Hier einige der wichtigsten Beispiele, was für den Erhalt des historisch gewachsenen Ortskern wichtig ist:

  • Erhaltung der Straßenfrontlinien und Straßenfluchten, ohne die durch Abriss freigestellten, langweiligen Giebelseiten Erhaltung der typischen Fassaden: Fensterläden, Fensterformen und -Anordnungen, Traufkästen
  • historisch-typische Baumaterialien, die die früheren regionalen Baustoffe wiederspiegeln und historische Farbe.
  • Erhaltung der traditionellen Dachneigungen (optimal 45-48°)
  • Dach-Eindeckung mit Ziegeln in naturfarbenen, roten, rotbraunen, braune und gelblichen Tönen

Liebevolle Details an den Eckert-Häusern


Straßenfront und Wohnraumerweiterung

Viele Landwirte haben wegen der zunehmenden Größe ihrer Maschinen das Dorf bereits verlassen, den Verbliebenen wird das Dasein im Dorf immer schwerer gemacht, so dass der Trend, das Ort zu verlassen, bestehen bleibt. Unser Vorschlag: Die Wohnhäuser der alten Höfe bilden die erhaltenswerte Straßenfront. Innerhalb der nicht mehr genutzten Höfe bieten sich viele Wohnraumerweiterungen an, um den bestehenden großen Bedarf an Wohnungen zu befriedigen, ohne weitere Flächenversiegelungen vorzunehmen. Es gibt rheinhessische Gemeinden, die vorbildlich zeigen, wie trotz der gegenwärtigen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt das alte Ortskernbild erhalten werden kann.

Leider vermissen wir beide und viele unserer Freunde und Bekannten dies in unserem Heimatort Klein-Winternheim sehr und wir appellieren, eine sofortige Wende in der Vorgehensweise einzuleiten.

Die neuesten Entwicklungen: Wie schon so oft wurde die Absicht, die Dorfcharakteristik zu schützen, im März 2022 im Gemeinderat diskutiert. Es soll eine Dorfmoderation stattfinden, es wurden Veränderungssperren ausgesprochen. Das begrüßen wir, aber ob damit endlich eine echte Wende eingeleitet ist, wird sich noch zeigen müssen. Die bisherigen Erfahrungen lassen uns daran zweifeln ... auch wenn wir unserer Gemeinde wünschen, dass die Maßnahmen, den alten Dorfkern zu schützen, diesmal erfolgreicher sind als frühere Anläufe!




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